Seit 2002 bewegen wir uns gemeinwohlorientiert im Münzviertel. Es ist unser fortwährender Einspruch gegen eine von »oben nach unten« diktierte Stadtgestaltung, wo Politik- und Planungsmächtige intransparent als »Gott-Vater« (wir wissen was für Euch gut ist) auftreten und somit die betroffenen Menschen vor Ort zur bloßen statistischen Größe degradieren. Andere, die mit Vorrang die Wirtschaft innerhalb von Demokratie zum profitablen Vorteil einiger weniger huldigen nennen diesen Einspruch »schlecht erzogen«
Norderstraße 65 1. April 2016
Wir bleiben dabei und fragen weiterhin in welcher Stadtgesellschaft wir leben wollen? Dabei schaffen wir unsere eigenen Bilder und setzen auf Empathie, Demut, Solidarität, Toleranz und Transparenz. Ein schöpferisches Gestalten von innen nach außen sowie ein emanzipatorisches Wirken von »unten nach oben«. Wir bleiben »schlecht erzogen«.
Höhepunkt unser nachbarschaftliches Miteinander ist unser jährliches selbst organisierte Straßenfest. An diesem Tag wollen wir gemeinsam mit der Hamburgischen Öffentlichkeit feiern und aufzeigen, dass gemeinsames Denken und Praktizieren von Kunst und Sozialem, Pädagogik und Inklusion im Rahmen von innovativer Stadtgestaltung möglich ist.
In diesem Jahr laden wir am 09. Juli ab 14 Uhr in das Münzviertel ein, für Live-Musik, Infostände, Essen & Trinken, Kinderschminken und vielem mehr…
2002 war Papa Curvin einer der treibenden Kräfte das 1. Straßenfest Münzviertel auf die Beine zu stellen. Zu unserer freudigen Überraschung feiert Papa Curvin dieses Jahr nach 20 Jahren gemeinsam mit uns das 19. Fest (was eigentlich das 20. gewesen wäre, wenn Corona uns nicht ein Fest gestohlen hätte). Wir freuen uns auf unseren ehemaligen Nachbarn, denn einmal Münzviertler bleibt immer Münzviertler oder einmal Münzviertlerin bleibt immer Münzviertlerin.
Fritz Höger, Architekt des Chilehauses als „Klinkerfürst von Hamburg“ gewürdigt (1) war ein überzeugter Nationalsozialist (2). 1932 trat er in die NSDAP ein und forderte, Künstler ohne „deutsches Blut“ des Landes zu verweisen (3). 1946 gab er gegenüber dem Entnazifizierungsausschuss an: „immer unpolitisch“ bzw. „von Anfang bis Ende entschiedener Gegner des Hitlerismus“ gewesen zu sein“ (4) und wurde daraufhin als entnazifiziert erklärt, obwohl er noch im November 1945 „in extrem antisemitischer Manier das „Weltjudentum“ für die deutsche Niederlage verantwortlich machte. „Egoistischer Materialismus, große Schlauheit, die zur Hinterlist wird, Lug und Trug und anschmeichelnde Zähigkeit sind die äußeren Zeichen des Judentums; dazu die Nase, Plattfüsse und mauschelnde Hände. […] Die Schergen und Schlächtergesellen des Weltjudentums führen ein bacchalisch gutes Leben“, ließ Höger seinen Ressentiments freien Lauf (5).
1955 wurde in einem Leserbrief des Hamburger Abendblattes erstmals die Forderung laut, eine Straße oder Schule nach Höger zu benennen. Dieses wurde ein Jahr später mit der Benennung des Högerdamm umgesetzt (6).
Als wir uns im Herbst 2002 nach dem 1. Straßenfest im Münzviertel (damals: „Straßenfest Repsoldstraße) nach einem Raum umschauten, wo wir uns zur Gründung der Stadtteilinitiative treffen könnten, entschieden wir uns für die ehemaligen Volksschule für Mädchen in der Rosenallee 11.
Aula: Jugendwerkstatt 2002
Getroffen haben wir uns dort im Nov. 02 in der Kantine der damaligen Jugendwerkstatt (heute Aula des Werkhauses).
Bella Spanier und Recha Lübke
Bei unserer Recherche über das ehemalige Schulgebäude Rosenallee 11 stießen wir auf die beiden Lehrerinnen Bella Spanier und Recha Lübke s.: „Ein Stolperstein für Frau Bella Spanier und ein Stolperstein für Frau Recha Lübke“ (2008)
Seitdem gründet sich unser identitätsstiftendes Selbstverständnis einer gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung in den Biografien von Bella Spanier und Recha Lübke. Es ist bis heute unser Einspruch gegen eine von »oben nach unten« diktierte Stadtgestaltung, wo die Politik- und Planungsmächtigen intransparent als »Gott-Vater« (wir wissen was für Euch gut ist) auftreten und somit die betroffenen Menschen vor Ort zur bloßen statistischen Größe degradieren. Und es ist gleichfalls unser Widerstand gegenüber der Objektivierung des Einzelnen durch andere und die Anforderung an uns selbst, die eigenen sinnlichen und geistigen Kräfte in der partizipativen Differenz zu den anderen zu stärken und zu aktivieren. Dabei schaffen wir unsere eigenen Bilder und setzen auf Empathie, Demut, Solidarität, Toleranz und Transparenz. Ein schöpferisches Gestalten von innen nach außen sowie ein emanzipatorisches Wirken von »unten nach oben«.
Münzstraße 4. Mai 2014
Die Aula ist die lebendige Mitte des Werkhaus und zugleich die architektonische Mitte des Schulgebäudes. Erbaut wurde das Gebäude 1883 im Zuge der Erstbebauung des ab 1842 trockengelegten Hammerbrook. Die ehemalige Volksschule, authentisches Zeitzeugnis einer fast 140jährigen Geschichte ist das geistige und kulturelle Gedächtnis des Münzviertels. Festgehalten wurde diese in dem schmalen Buch »Rosenallee 11« zum 50jährigen Jubiläum der Schule. Ein wunderbares und ein schreckliches zugleich. Für das Viertel historisch eine Fundgrube, aber als Zeitzeugnis ein unheilvolles Buch. Ein nationalsozialistisches Machwerk. Veröffentlicht 1936.
Gefunden habe wir das kleine schmale Buch im Stadtteilarchiv Hamm bei der Suche nach historischen Bildern und Hinweisen zur Geschichte des Münzviertels. Dabei fiel uns als erstes eine Karteikarte mit einer Reprofotografie des Lehrerkollegiums der Rosenallee-Schule aus dem Jahre 1933 in die Hände mit Hinweisdaten auf Frau Spanier und Frau Lübke.
Heute hängt die Karteikarte groß in der Mitte an der Stirnseite der Aula. Dort hängt sie seit der Eröffnung des Werkhauses. Frau Spanier und Frau Lübke sind mitten unter uns. Sie sind anwesend – eine Nähe und Ferne zugleich, ein Dazwischen im Hier und Jetzt zwischen Frau Spanier und Frau Lübke einerseits und mir als Einzelner. Ein rätselhaftes Ereignis, welches mir widerfährt, dem ich mich nicht entziehen kann, es nötigt mich zur Antwort – Frau Spanier und Frau Lübke schauen uns an: Ihr Vermächtnis: »Nie wieder«.
»Fridays for Future« zu Gast im Werkhaus, 15. Januar 2020
Die ehemalige Volksschule für Mädchen in der Rosenallee 11 ist ihr Haus und wir sind ihre Gäste. Frau Spanier und Frau Lübke wachen über unser Tun. Ihre Präsenz gründet unser Selbstverständnis wider das Vergessen der Barbarei des Holocaust. Ermordet wurde Frau Spanier im KZ Chelmno und Frau Lübke im KZ Auschwitz.
Unser Vorschlag den Högerdamm in „Bella Spanier – Recha Lübke Straße“ umzubenennen wäre unseres Erachtens im aktuellen Gegenwartsbezug der „Zeitenwende“ ein partizipatives Bekenntnis zu einem Demokratieverständnis in dessen Mitte die Bevölkerung als alleiniger Souverän steht, wie dieses in unserer Verfassung festgeschrieben ist. Es wäre demnach eine Abkehr von einem vorherrschenden und verkrusteten Demokratieverständnis in dem der Wirtschaft die oberste Priorität zum finanziellen Vorteil einige wenige eingeräumt wird.
Stadtteilinitiative Münzviertel
Bella Spanier gehörte zwischen 1906 bis 1933 dem Kollegium der Mädchenschule Rosenallee 11 an. Sie wurde am 25. Februar 1884 geboren und war bei ihren Schülerinnen sehr beliebt. Sie war Anhängerin der Reformpädagogik und Mitglied im Lehrerverein Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde sie nach 27 Jahren Lehrtätigkeit sofort im April 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Sie bezogen danach kein Gehalt mehr, sondern eine reduzierte Pension. In einem Schreiben an die Gestapo vom 6. Mai 1934 wurde als ihr Entlassungsgrund genannt, dass sie „keine Gewähr dafür bietet, rücksichtslos für den nationalen Stadt einzutreten. Nach ihrer Entlassung zog Bella Sanier gemeinsam mit ihrer Mutter zu ihrer Schwester Rebecca und dessen Ehemann in die Bismarkstraße 6. Ihr Vater war inzwischen verstorben. Bellas und Rebeccas Mutter Caroline folgte ihrem Ehemann im August 1937. Im Oktober 1941 erhielt Bella Spanier ihren Deportationsbefehl. Sie wurde mit der ersten Deportation aus Hamburg nach Lotz deportiert“ (s.: „Research-REmind-React“, Nationalsozialismus in Hamburg-Hammerbrook, Ein Erinnerungsort entsteht. S.: 54) und wurde am 10. Oktober 41 in das Vernichtungslager in Chelmno weiterdeportiert und dort am 10. Mai 1942 ermordet.
Recha Lübke gehörte von 1901 bis 1934 dem Kollegium der Mädchenschule Rosenallee 11 an. Sie war am 6. März 1880 geboren. Mit der Machtübernahme des Hamburger Senats wurden ab 1933 jüdische und demokratisch eingestellte Lehrern/innen aus dem Schuldienst entfernt. Vielleicht bewahrte Recha Lübke eine Auszeichnung im Ersten Weltkrieg 1933 vor der sofortigen Entlassung 1933. Aber am 30. Juni 1934 wurde sie mit 54 Jahren aufgrund des § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen und vorzeitig in den Ruhestand versetzt.
Nach ihrem Rauswurf aus dem Schuldienst betreute Frau Lübke noch ältere Bewohnerinnen des Frauen-Wohnheims des Israelitischen Humanitären Frauenvereins in der Innocentiastraße. Im Februar 1942 wurde das Wohnheim von den Nazis geschlossen. Recha Lübke wurde gezwungen, ihre Wohnung in der Isestraße 21 zu verlassen. Seit 1939 war Juden/innen das Wohnrecht genommen und sie konnten binnen Stunden gezwungen werden, ihre Wohnung zu verlassen. Recha Lübke musste für einige Monate im Kleinen Schäferkamp 32 200 Meter vom Bahnhof Sternschanze entfernt wohnen. Aus einem jüdischen Wohnstift wurde ein sogenannten Judenhaus. Statt der acht Mietparteien wohnten hier seit 1941 insgesamt 75 jüdische Bewohner/innen. Am 15. und 19. Juli 1942 waren es hunderte Menschen, die sich in der Schule Schanzenstraße, direkt beim Bahnhof Sternschanze, einfinden mussten. Recha Lübke wurde am 9. Oktober 1944 von dort weiter nach Auschwitz deportiert und ermordet.
(1) Professor Ewand Banse: Der Klinkerfürst von Hamburg, in: Hamburger Abendblatt, 19.6.1952, S. 8.
(2) Matthias Gretzschel: Bauten, Ideen und Projekte, in: Hamburger Abendblatt, 27./28.9.2003, S. 7. Vgl. Zwischen Heimattümelei und Moderne, in: Hamburger Abendblatt, 20.6.1977, S. 6.
(3) Bucciarelli: Fritz Höger. Der norddeutsche Backstein-Architekt, S. 23.
(4) Fragebogen Military Government of Germany, ausgefüllt von Friedrich Höger, 11.9.1946, in: LASH, Abt. 460.14, Nr. 137.
(5) Fritz Höger: Erlebte Weltgeschichte, undatiertes Typoskript mit Fehlstellen, in: StAHH, 621-2/16, A 048, zitiert nach Höhns, Fritz Höger, S. 130.
(6) Leserbrief D. Hoffmann „Högers Geburtstag“, in: Hamburger Abendblatt, 7.6.1955, S. 2; vgl. Leserbrief H. Ohlhaver „Bauherr des Chilehauses“, in: Hamburger Abendblatt, 11./12.6.1955, S. 2.
„Weg mit dem Unkraut“ sagt die Stadtreinigung und weg sind Stockrosen, Löwenzahn, Wegerich und … . Das finden wir nicht gut und deshalb treffen wir uns bei der Quartiersbeirat Münzviertel Sitzung * am:
Montagabend, den 13. 6. 22 um 19:00 Uhr im „Treffpunkt Münzburg“ (Innenhof Münzburg)
zum gemeinsamen Widerspruch (Empfehlung an den City-Ausschuss HH-Mitte) u. mehr?
Mit nachbarschaftlichen Grüßen Stadtteilinitiative Münzviertel