Das Gutachten, die Hundekacke, die Politik und schweigende Hausbesitzer

Das Gutachten, die Hundekacke, die Politik und schweigende Hausbesitzer
Beobachtung der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wohnen und soziale Stadtteilentwicklung und der Rollen der Teilnehmer.

Vorbemerkungen

Stellen wir uns einmal vor es gäbe da in Hamburg ein Viertel das keiner kennt. Na, fast keiner außer Junkies, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Kunststudenten. In diesem Viertel, dem Münzviertel, brodelt es, aber überraschend auf eher angenehme Weise.

Gut, die Ausgangslage ist nicht rosig: Junkies und Obdachlose sind hier, weil sie etwas bekommen. Die Bewohner der Sozialhilfewohnungen im neuen Wichernhof sind eher unfreiwillig hier, die billige Miete macht’s. Und das Wohnen in WGs in den vielen Altbauten zieht Kreative und Kunststudenten an. Die allerdings gerne aber kurz hier wohnen. Das macht das Münzviertel zum Durchlauferhitzer.

Stellen wir uns weiter vor, in mühsamer Arbeit wäre es den Bewohnern des Viertels gelungen die Bezirksversammlung Hamburg Mitte, also ein politischem Gremium, anzustiften. Die gab ein Gutachten in Auftrag, denn das kleine Münzviertel soll in das Senatsprogramm „Aktive Stadteilentwicklung 2005-2008“ aufgenommen werden. Jetzt kommt die Master-Frage: „Was passiert jetzt, nachdem das Gutachten über das Münzviertel fertig ist?“

Die Sitzung mit Kommentaren

Dafür gab es eine öffentliche Anhörung des Unterausschusses. Und die Öffentlichkeit war da: Für ca. 100 Leute gab es zu wenig Sitze in den Räumen des Herz As, der Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose, was eine erste leichte Unruhe brachte. Auch bei den Politikern, die hetten weniger erwartet.

Fazit von Jan Paulsen, der das Gutachten miterstellt hat: Das Münzviertel soll als kreatives Wohn- und Arbeitsquartier gestärkt werden. Rolf Kellner, Architekt bei ÜberNormalNull, stellte erfreut fest, dass das Viertel beim Architektursommer 2006 Spitzenreiter ist, mehr Aktionen hat kein anderes Viertel. Durch die Arbeit der Stadtteilinitiative Münzviertel ist die Politik aufmerksam geworden. Kellner freut sich, dass der „Gelenk-Stadtteil“ zwischen Kunstmeile, Hafencity, Geschäftsmeile und Alster als Chance begriffen wird.

Einige Münzvierteler mussten nun einfach aufstehen und einstehen für ihre Überzeugung und ihre Arbeit. Britta Höper wohnt im Quartier.

Wenn es nach der Behörde geht ist Britta allerdings keine Anwohnerin, das gefühlte Gebiet Münzviertel wurde im Gutachten verkleinert, die Gebiete am Högerdamm und deren Anwohner raus genommen. Und die Brachfläche am Hühnerposten. Aus Angst die Stadtteilinitiative könnte städtische Sanierungs- oder Baupläne stören oder gegen sonstige Vorschriften verstoßen.

Britta hat einen öffentlichen Garten angelegt. Erst allein, dann machten immer mehr mit. Es gibt hier die Solidarität und den Willen etwas zu tun. Die Behörden dagegen tun sich schon schwer einen selbstgebauten Blumenkübel zu genehmigen. Wegerechte, Verkehrssicherheit, Pflegefragen, Schönheits-Bedenken, nur das Tiefbauamt darf pflanzen …

Aufstand Günter Westphal. Das Viertel ist für ihn und viele mehr die Fortsetzung der Kunstmeile. Er kämpft für den Erhalt der Jugendwerksatt in der Rosenallee – als Lehrgärtnerei. Die Jugendlichen könnten die Pflege leisten. Grün wird die Stimmung ändern, die Wohnqualität verbessern.

Er bat die Politik sowie die Verwaltung offen zu sein und mit dem was hier an Arbeit von der Initiative zur Verbesserung der Gemeinwesens getan wird umzugehen, es zu fördern.

Und dann kamen die praktischen Fragen. Die Emotionen schlugen höher. Zwei Anwohner reklamieren den Notstand. Bäume sind abgeholzt worden, Parkplätze und Einkaufsmöglichkeiten fehlen. Sie wollen Läden und keine Galerien, Kunst; gut und schön; aber Läden fehlen. Sie forderten konkrete Antworten und bekamen sie nicht.

Brot und Spiele? Das erinnert an die Aktion in New York von Gordon Matta-Clarcs, wo in einer Galerie Kunstessen zubereitet wurde, eine Mischung von Kunst und Essen. Im Münzviertel gibt es den Brötchenladen. Also los! Habt Mut! Oder die „Münze“, deren Konzept von Kunst und Gastronomie mit Vernissagen von Kunststudenten aus dem Viertel angereichert werden könnte. Oder man organisiert mit dem Hostel, das Spaldingstraße Ecke Högerdamm entstehen soll, Ausstellungen. Wenn hier etwas passieren kann, dann muss es immer aus dem Viertel kommen. Sonst geht es ein, die Erfahrung hat man im Viertel.

Pepe Casans-Lutzu aus dem Viertel sprach die schlechte Qualität der Häuser und Wohnungen an, die Lebensqualität müsse unbedingt verbessert werden.

Dahinter stecken auch Bedenken dass die Mieten höher gehen. Der schweigenden Minderheit, den Hausbesitzern bietet man Finanzierungshilfen an zur Sanierung. Den Bewohnern, die etwas tun, nichts.

Jetzt kommt der Hund!

Eine Bewohnerin drängt sich nach vorne. Es läuft ein Vortrag über die vorteilhaften Fördermöglichkeiten für Eigentümer. Das interessiert viele nicht, besonders nicht die Hundebesitzerin. In ihrer Bomberjacke mit blondem Kurzhaarschnitt gibt sie sich kämpferisch. Sie will einen Hundeplatz. Hier gäbe es viele Hunde. Und eine tolle Brachfläche am Sonninkanal. Unruhe im Saal, der Vortrag ist unterbrochen, es wird moderiert oder auch nicht. Die Hundebesitzerin ist in Zeitdruck, der Hund könne nicht lange bleiben. Sie wolle kämpfen für den Hundeplatz, sie wolle kämpfen.

Die Hundebesitzerin hat gezeigt was hier alles im Quartier los ist, wie vielfältig die Menschen und Argumentationen sind. Das hat wunderbar irritiert.

Zusammenfassend meint Herr Hafke, Baudezernent Hamburg-Mitte, man wolle weiterhin offen sein. Aber Verhandlungen mit Politik und Behörden gehörten nun mal dazu. Herr Jochem, Sanierungsbeauftragter im Stadtplanungsamt, sieht dass vieles in Bewegung kam durch die Arbeit im Viertel. Die Bundesbau-Kreditanstalt, eine Hotelkette und viele Eigentümer sind aufmerksam geworden. Aber dass das Kreative für eine Anmeldung zum Senatsprogramm reichen würde, dass sieht er nicht.

Was wir sehen ist, dass jeder seine eigene Sicht und Logik hat. Sozusagen wurden alle wieder in flagranti erwischt. Anwohner, Hauseigentümer, Politik und Behörden.

Ende der Vorstellung.

Und nun?

Weiter.

André Blisse

Aus: Beilage „Münzviertel“ der Stadtteilzeitung „Der lachende Drache“ (HH-St. Georg), 5/2006