Sehr geehrte Ausloberin: Freie und Hansestadt Hamburg
als unmittelbarer Nachbar südlich des Hauptbahnhofs beheimatet das Münzviertel seit der Jahrhundertwende alle jene sozialen Zentraleinrichtungen, die man aus Stadtsanierungs- bzw. Gentrifizierungsgründen oberhalb der Gleise rund um den Hauptbahnhof nicht haben wollte wie „hoffnungsorte hamburg“ für wohnungslose Menschen, „Drob Inn“ für drogenabhängige Menschen und „alsterdorf assistenz ost“ für Menschen mit Assistenzbedarf.
Statt Abwehr betreiben wir seit 2013 das „Werkhaus Münzviertel zur Verschränkung von Pädagogik, Kunst und Quartiersarbeit“, ein niedrigschwelliges Angebot für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Jungerwachsene bis zum Alter von 27 Jahren: www.werkhaus-muenzviertel.de/
Es überrascht uns wenig, wenn bei Ihnen unter: „3.1 Lage im Stadtraum“ zwar über den städtebaulichen Anschluss des Johanniswall (Kunstmeile) und dem Steintorplatz (St. Georg / Landschaftsachse Horner Geest) blumig geschrieben wird, aber das Münzviertel unter dem Motto: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ als soziale Abstellkammer des sozialen Brennpunkts Hauptbahnhof keine Erwähnung findet.
Gegründet in den Erfahrungen unserer fast 20jährigen gemeinwesenorientierten Stadtteilaktivitäten über Ihre städtebaulichen Gestaltungsmaßnahmen (Neubebauung ehemalige Schule für Hörgeschädigte Schultzweg / Abriss des City-Hofes) fragen wir Sie mit aller Deutlichkeit nach der sozial-städtebaulichen Ausrichtung Ihrer Umgestaltung rund um den Hauptbahnhof. Wir sind gespannt.
„… Im Quartier fehlt es zudem an Fahrradabstellplätzen. Auf Basis des Rahmenplans Münzviertel werden geeignete Standorte für Fahrradabstellanlagen definiert…“
Aktive Stadtteilentwicklung 2005 – 2008 Gebietsanmeldung des Bezirksamts Hamburg-Mitte für das Themengebiet Münzviertel -ENTWURF- Stand 16.11.2007
Wir befinden uns im Jahre 2021 n. Chr. Ganz Hamburg ist besetzt von seelenlosen Rechtecken, Quadraten, Dreiecken, glatten Beton- und Glasfassaden….
Ganz Hamburg? Nein!
Schultzweg 2015
Ein von unbeugsamen Hamburger*innen bevölkertes Dorf Münzviertel mittendrin in der Stadt hört nicht auf, den Besetzern Widerstand zu leisten. Seit 19 Jahren verteidigen und hegen die Tapferen mit beseelter Empathie und sozialer Poesie Lücken, Nischen und Unfertiges gegen die fortwährenden Angriffe selbstsüchtiger Politikheinis, buckelnde Schreibtischpupser und hartherzige Geldfuzzis zur kaltschnäuzigen Übernahme des Dorfes.
Hey, cool! Wäre ein lässiger Einstieg mit dem kleinen Gallischen Dorf gewesen, aber die Realität duldet keine Prosa und widerspenstige Gallier schon gar nicht. Also nochmal von vorn:
Münzplatz 2020
Das Münzviertel liegt oben im westlichen Zipfel des Hamburger Stadtteil Hammerbrook. Eingekeilt zwischen breiten Verkehrs- und Bahntrassen in unmittelbarer Nachbarschaft zum sozialen Brennpunkt Hauptbahnhof und überregionaler Kunstmeile.
Münzplatz 2004
Ohne uns vor Ort zu informieren, rückte um 2000 das Viertel mit seinen Bau- und Brachflächen als Folge des 2. Weltkriegs in den Fokus der überregionalen Stadtentwicklung. Ziel dieser war es, in den freien Lücken und Flächen für alle jene sozialen Zentraleinrichtungen Platz zu schaffen, die die Politikmächtigen der Stadt aus Stadtsanierungsgründen des oberhalb des Hauptbahnhofs gelegenen gutbürgerlichen Stadtteil St.Georg aus Stadtsanierungsgründen nicht mehr haben wollten wie „hoffnungsorte hamburg“ für wohnungslose Menschen, „Drob Inn“ für drogenabhängige Menschen und „alsterdorf assistenz ost“ für Menschen mit Assistenzbedarf. Unsere Nachbarn von heute.
Dieses undemokratische „von oben nach unten“ Diktieren war für uns Anlass 2002 die Stadtteilinitiative Münzviertel zu gründen. Ein nachbarschaftliches Netzwerk aus Kunst- und Städtebaustudent*innen, Student*innen der Sozialpädagogik und viele Münzviertler*innen mit emanzipatorischen Ideen und Träumen für ein gemeinwohlorientiertes Miteinander.
Es war und ist bis heute unser Einspruch gegen eine intransparente Stadtgestaltung wo die Politikmächtigen als „Gott-Vater“ (wir wissen was für Euch gut ist) auftreten. Statt Abwehr gegenüber unseren neuen Nachbarn, forderten wir die Politik auf, uns bei der weiteren sozial- wie städtebaulichen Umgestaltung des Münzviertels für alle Bewohner*innen, Gewerbetreibenden und sozialen Einrichtungen des Viertels ein partizipative Mitgestaltungsrecht einzuräumen mit dem Ziel, eine identitätsstiftende Stadtteilumgestaltung im emanzipatorischen Dialog und partizipativer Gestaltungspraxis auf den Weg zu bringen.
„Viertelhaus“: Fabian Nischtkowski Münzplatz 2009
Die inneren Kraftfelder des Gemeinwesen Münzviertel sind Kunst und Soziales. Beide Felder sind tief verankert in den Kapillaren der „Stadtteilinitiative Münzviertel“. Dabei speist sich das Feld der Kunst aus dem gesellschaftspolitischen Widerstreit zwischen elitärer Hochkultur des L‘art pour l’art und einer Kunst, die dort hingeht, wo die Menschen mit ihren Träumen, Empfindungen und Gestaltungskräften zu Hause sind. Und das Feld des Sozialen speist sich aus der großen Anzahl großstädtischer Sozialeinrichtung innerhalb des Quartiers. Auf engstem Raum zusammengerückt bedingen beide Felder einander.
Workshop: „Wir bauen eine neue Stadt“ Münzplatz 2004
Gegen das undemokratische „von oben nach unten“ Diktat der Politikmächtigen liefen wir und laufen wir bis heute fortwährend Sturm. 2008 versprachen sie uns Besserungen und erklärten das Münzviertel im Rahmen des „Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) unter dem Leitthema: „Kunst und Soziales“ zum Fördergebiet mit den Schlüsselprojekten: „Neubebauung des Grundstück ehemalige Schule für Hörgeschädigte Schultzweg 9“ und dem „WERKHAUS MÜNZVIERTEL zur Verschränkung von Pädagogik, Kunst und Quartiersarbeit“. Wir spürten Morgenluft und ein Hauch von partizipativer Mitgestaltung lag in der Luft.
Werkhaus 2018
Ende 2013 nahm das WERKHAUS MÜNZVIERTEL mit seinem niedrigschwelligen Angebot für wohnungslose Jungerwachsene sein Betrieb auf und spiegelt seitdem unser gemeinwesenorientiertes Selbstverständnis wider, welches von solidarischem Handeln, Toleranz gegenüber Anderen und Empathie mit dem Gegenüber getragen wird: http://www.werkhaus-muenzviertel.de
Keine Erfolgsgeschichte wurde hingegen die Neubebauung des ehemaligen Schulgeländes. Über viele Monate planten wir 2011 gemeinsam mit Student*innen der HafenCity Universität Hamburg (HCU) die inhaltliche und architektonische Neubebauung des Schulgeländes. Dabei skizzierten wir genossenschaftliche Wohnprojekte, öffentlich geförderte Atelierwohnungen für Kunst- und Kulturschaffende,Wohnraum für obdachlose Jugendliche sowie Menschen im Asylverfahren.
Alles für die Katz! Leider hatte der verantwortliche Fachamtsleiter für Stadt- und Landschaftsplanung HH-Mitte vergessen uns mitzuteilen, dass es bereits einen Projektentwickler für die Bebauung gab und dieser hatte kein Interesse an Wohnprojekte, Ateliers, Wohnraum für obdachlose Jugendliche usw.
Norderstraße 2017
Unser Aufschrei: 2 Jahre Kollektives Zentrum („koZe“) in den Räumen der ehemaligen Kindertagesstätte Schule für Hörgeschädigte. Ein gesellschaftspolitischer Versuch, kollektive Stadtteilpolitik „von unten“ inmitten der Freien und Hansestadt lebendige Wirklichkeit werden zulassen. Doch dieses durfte nicht sein.Die Gott-Väter waren erzürnt. Jedoch in unseren Herzen lodert das „koZe“ weiter fort.*
Aktuell befindet sich das Münzviertel wiederum im sozialen und städtebaulichen Umbruch. Im Visier der Stadt steht der Verkauf ihres letzten Grundstücks (ehemaliges Hillgruber Gelände: Spaldingstr./Schultzweg/Norderstr.) im Viertel. Kurzerhand und wieder hinter unserem Rücken erklärten die Politikmächtigen der Stadt das Grundstück zum übergeordneten Wirtschaftsförderungsfall (s. St. Paulihaus **) zur Sicherung von Arbeitsplätzen für vorrangig Hamburger Unternehmen und verweigert uns somit jegliche partizipative Mitsprache bei der Bebauung des Grundstücks. Auf der Strecke bleiben wiederum genossenschaftliche Wohnprojekte, öffentlich geförderte Atelierwohnungen für Kunst- und Kulturschaffende, Wohnraum für obdachlose Jugendliche sowie Menschen im Asylverfahren.
Münzplatz 2020
Doch diesmal lassen wir uns nicht sagen, welche Ansprüche und Wünsche wir nicht haben dürfen. Wir machen die Beteiligung jetzt selbst und werden unsere Vision für das Grundstück durch gemeinsame Workshops mit unseren Quartiernachbar*innen weiter entwickeln, öffentlich diskutieren und stringent gegenüber den politischen Mandatsträger*innen der Stadt einfordern. Denn unsere Auffassung von partizipatorischen Beteiligung geht über das bloße Bemalen von Wänden hinaus. Wir machen Stadtgestaltung „von unten“.