Wider die Aufklärung, Vernunft und Toleranz: NORD PROJEKT-Geschäftsführer Jürgen Paul antwortet nicht. Eine Tristesse in III Akten.

          Herrengraben 28.11.18

Prolog

Jürgen Paul ist neben Gerrit M. Ernst Gesellschafter und Geschäftsführer der NORD PROJECT Immobilien Holding GmbH (1) zu je 50% Anteilen. Zugleich ist die Holding zu 50% an der NORD PROJECT Immobilien und Beteiligungsgesellschaft mbH (2) beteiligt. Die weiteren 50% Anteile werden von der GBI AG (3) gehalten. Diese wiederum entwickelt gemeinsam mit ihrer Schwestergesellschaft GBI Wohnungsbau GmbH(4 ) und der NORD PROJECT Immobilien und Beteiligungsgesellschaft mbH (1) gemeinsame Hotel-, Apartment- und Wohnprojekte.

Muttergesellschaft der GBI AG (3 ) und der GBI Wohnungsbau GmbH (4) ist die GBI Holding GmbH (5) eine 100% Tochter der Moses Mendelssohn Stiftung (6). Diese Stiftung fördert Bildung, Erziehung, Wissenschaft und Forschung auf dem Feld der europäisch-jüdischen Geschichte und Kultur. Darüber hinaus engagiert sie sich über die FDS gemeinnützige Stiftung (7) für gemeinnützige Bauprojekte, die der deutsch-jüdischen Verständigung dienen und ist wiederum Gesellschafterin der Firmengruppe der Moses Mendelssohn Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG (8) in der all die Unternehmens- und Immobilienbeteiligungen zusammengefasst sind, die der Stiftung langfristig Vermögen und Ertrag sichern (s. hierzu: „Diese lästigen Geschäfte!“ taz v. 9.2.2014 (9)).

Moses Mendelssohn 1729–1786

„Ich handele mit Vernunft …

ist eine Formulierung, die dem Berliner Philosophen Moses Mendelssohn (1729–1786) zugeschrieben wird. Die Stiftung, von Nachfahren Mendelssohns und Mitgliedern des Familienverbundes Mendelssohn-Bartholdy gegründet, fühlt sich der Maxime des großen Berliner »Weltweisen« verpflichtet und ist bemüht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Projekte zu fördern, die der Verbreitung von Aufklärung, Vernunft und Toleranz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft dienen.“

Prof. Dr. Julius H. Schoeps Stiftungsvorstand“ (10)

I Akt

Albrecht Mendelssohn Bartholdy Haus Hühnerposten 6.3.2012

Seit 2010 ist die NORD PROJECT Immobilien und Beteiligungsgesellschaft mbH (2) im Münzviertel aktiv und baute zwischen 2010 und 2012 unter dem Dach der GBI AG (3) das gemeinnützige Studentenwohnheim (SMARTments-student) „Albrecht Mendelssohn Bartholdy Haus“ (11) am Hühnerposten / Ecke Schultzweg.

Im Rahmen des Stadtteilentwicklungsprogramm “Fördergebiet Münzviertel“ (RISE) versuchten wir die GBI AG (3) vertreten durch Gerrit M. Ernst davon zu überzeugen, dass sich das zukünftige Studentenwohnheim mit einem halböffentlichen Waschsalon im Erdgeschoß zum Quartier hin öffnet. Die Mühe war vergeblich: Stattdessen versprach uns Gerrit M. Ernst auf dem Vorplatz des Heims durch Begrünung, Sitzbänke und eine helle einladende Hauseingangsgestaltung eine lebendige Begegnungsschnittstelle zwischen den Student*innen und den Quartiersbewohner*innen zu schaffen. Das Versprechen: Pures Blendwerk: keine Begrünung, keine Bänke und der angekündigte helle offene Hauseingang entpuppte sich als Gegenteil: dunkel, eng und Video überwacht.

 Hühnerposten 13.9.2013

II Akt

SMARTments am SchultzwegQuelle: Spengler Wiescholek Architekten
Schultzweg / Norderstraße

2014 kauften NORD PROJECT Immobilien Holding GmbH (1) und HBK Hanseatische BauKonzept GmbH & Co. KG (12) gemeinsam als neu gegründete SWM Studentisches Wohnen Münzviertel Hamburg GmbH (13) den Bauabschnitt am Schultzweg innerhalb der Neubebauung des ehemaligen Schulgeländes für Hörgeschädigte im Straßendreieck Schultzweg / Norderstraße / Münzstraße. Im Mai 2018 schied die HBK aus der SMW aus. Alleinige Gesellschafterin der SMW ist nun die NORD PROJEKT Immobilien Holding GmbH (1) mit ihrem Geschäftsführer Jürgen Paul.

Während des städtebaulichen Wettbewerbs 2015: „Neubebauung für das ehemalige Schulgrundstück“ (Schlüsselprojekt: „Fördergebiet Münzviertel“) fragten wir Jürgen Paul, neben der HBK Mit-Auslober des Wettbewerbs nach dem Ausbleiben der versprochenen Begrünung, Bänke und Eingangsgestaltung am Albrecht Mendelssohn Bartholdy Haus. Antwort: abwehrendes Achselzucken mit dem Hinweis, dafür wäre Gerrit M. Ernst zuständig. Die gleiche Abwehrhaltung auf unserem Wunsch nach einem Info und Diskurs-Gespräch zwischen NORD PROJEKT Immobilien Holding GmbH (1) und uns als unmittelbar Betroffene ihrer Bauaktivitäten mit all deren sozialen und städtebaulichen Eingriffen in das seit Jahrzehnten endogen von innen nach außen gewachsene Gemeinwesen Münzviertel.

III Akt
Ein neues NH Hotel für Hamburg


Quelle: Foto: Rendering: bloomimages / GBI AG
Winking · Froh Architekten BDA
Spaldingstraße

Überraschend erfährt der Quartiersbeirat Münzviertel am 14.9.17 auf Nachfrage an das Fachamt für Stadt- und Landschaftsplanung (SL) HH-Mitte, dass bereits Juli 2017 die erste Jurysitzung eines hochbaulichen Wettbewerb: „Hotelneubau Spaldingstraße“ stattgefunden hat. Weder wurde das Quartier von den Bezirkspolitiker*innen noch vom SL über den Wettbewerb informiert geschweige denn eingeladen, an der Beurteilung der unterschiedlichen Wettbewerbsbeiträge mit teilzunehmen. Als 1. Preisträgerin des Wettbewerbs wurde im Oktober 2017 die GBI AG (3) vertreten durch Jürgen Paul bekannt gegeben. Dieser sagt dazu:

„Das Hotel in der Spaldingstraße wird für Gäste nicht nur aufgrund seiner hervorragenden Lage attraktiv sein, sondern auch die seiner beeindruckenden Architektur als Hotel-Hochhaus mit 10 Geschossen“so Jürgen Paul, Geschäftsführer von NORD PROJECT: „Auch für die Entwicklung des neu entstehenden Stadtquartiers ist das Gebäude extrem wichtig.“ (14)

Über welches neue Stadtquartier schwätzt hier eigentlich Jürgen Paul? Darüber hätten wir gerne Auskunft erhalten und haben deshalb Jürgen Paul als Vertreter der GBI AG (3) oder der NORD PROJEKT Immobilien Holding GmbH (1) (wer steigt da schon durch) doppelt – hält besser – einmal über den Quartiersbeirat sowie als Stadtteilinitiative selbst zur Quartiersbeiratsitzung am 15.11.18 eingeladen. Weder der Quartiersbeirat noch wir haben von Jürgen Paul je eine Antwort erhalten. Jürgen Paul antwortet nicht. Warum auch?

Epilog

Jürgen Paul steht dem Gemeinwesen Münzviertel mit dessen ethischen Bindungen und moralischen Verpflichtungen völlig gleichgültig gegenüber. Unter dem Deckmantel der Moses Mendelssohn Stiftung (6) mit deren offiziellen hehren moralischen Verlautbarungen: „Aufklärung, Vernunft und Toleranz in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft“ zielt Jürgen Paul in Vertretung der GBI AG (3) auf pure Profitmaximierung zur ausschließlich langfristigen Vermögens- und Ertragssicherung der Moses Mendelssohn Stiftung (6). Nichts anderes zählt.


Jürgen Paul (rechts) auf dem Gelände an der Münzstraße
Hamburger Abendblatt v. 9/10.5.2018 (15)

Und da klingt es schon recht abgekocht und zynisch, wenn Jürgen Paul ohne vorerst mit uns zu sprechen, ganz gezielt nach draußen in den öffentlichen Stadtraum über die soziale und städtebauliche Weiterentwicklung des Münzviertels per Hamburger Abendblatt: „Ein neues Wohngebiet vor allem für junge Leute“ schwadroniert:

„Für uns war es wichtig, mit dieser Mischung ein lebendiges Quartier zu schaffen. Auch die ältere Generation wird im Münzviertel dank barrierefreier Angebote passende Wohnungen finden“, sagte Nord-Project-Geschäftsführer Jürgen Paul und fährt fort: „Zur besonderen Qualität des Quartiers werden viel Grün und einladende Plätze beitragen. Wir werden auch mehrere Spielplätze und ein Basketballfeld bauen“.

Eine Tristesse!
Wir halten dagegen!

Einladung: 64. Quartierstreffen 14. Nov. 2018 19:00 Uhr Werkhaus Münzviertel Rosenallee 11: https://www.muenzviertel.de/einladung-64-quartierstreffen-14-nov-2018-1900-uhr-werkhaus-muenzviertel-rosenallee-11/

Stadtteilinitiative Münzviertel

(1)    https://www.np-immobilien.de/unternehmen/stiftung-und-unternehmen/

(2)    https://www.np-immobilien.de

(3)    https://www.gbi.a

(4)    https://www.gbi.ag/geschaeftsfelder/wohnungsbau/

(5)    https://www.gbi.ag/unternehmen/

(6)   https://www.moses-mendelssohn-stiftung.de

(7)    http://www.fds-stiftung.de/fds/

(8)   https://www.northdata.de/?id=6307999

(9)    http://www.taz.de/!703725/

(10)  https://www.moses-mendelssohn-stiftung.de/smartments/

(11)  https://www.smartments-student.de/standorte/hamburg-albrecht-mendelssohn-bartholdy-haus

(12)  https://www.hbk-immo.de/muenzstrasse

(13) https://www.northdata.de/SWM+Studentisches+Wohnen+Münzviertel+Hamburg+GmbH,+Hamburg/HRB+135690

(14)  https://www.gbi.ag/detailansicht/news/ein-neues-nh-hotel-fuer-hamburg/

(15) https://www.abendblatt.de/hamburg/article214242713/Ein-neues-Wohngebiet-vor-allem-fuer-junge-Leute.html

Einladung: Probe # 6 „1.825 Tage WERKHAUS MÜNZVIERTEL“ 6.12.2018

„Die Schönheit der Kunst treibt über sich hinaus zu einer Veränderung der Praxis. In dem Versprechen der Schönheit liegt nicht ihr Wert. Sondern ihr Antrieb – ihre Kraft“.

Christoph Menke aus „Das Paradox der Fähigkeit und der Wert des Schönen“
in „Politik der Kunst“ 2016

15:00 Uhr offene Tür

19:00 Uhr Begrüßung
Rahel Puffert und Günter Westphal
Kunstlabor naher Gegenden (KuNaGe) e.V.

19:30 Uhr Vortrag
Judith Haman:
„Mit malerischen Verfahren zur Sprache kommen“

20:00 Uhr Es spielen
Bunzi  / Gypsy King / SCORPION

Es zeigen

Judith Haman: Welche Farben hat die Stadt?
April 18 bis Juni18

Aram Han Sifuentes: we are not the other – we are the center
Juli 18

Malte Urbschat: Möbel bauen
Okt. 18 bis

s. weiter: Bilderbogen: „Werkhaus Münzviertel Probe # 5“  8.12.2017  https://www.muenzviertel.de/bilderbogen-werkhaus-muenzviertel-probe-5-8-12-2017/

Rosenallee 11 20097 Hamburg
www.werkhaus-muenzviertel.de/

 

Einladung: 64. Quartierstreffen / 14. Nov. 2018 / 19:00 Uhr / Werkhaus Münzviertel Rosenallee 11

Hallo liebe Nachbarinnen und Nachbarn,

hiermit möchten wir euch zu unserem 64. Quartierstreffen (in Abfolge von 16 Jahren) am kommenden 

Mittwoch, den 14. Nov. um 19:00 Uhr im Werkhaus Münzviertel in der Rosenallee 11

einladen. Das Treffen dient zur Vorbereitung der nächsten Quartiersbeiratsitzung (15.11.18 / 19:00 Uhr / Treffpunkt Münzburg / Münzweg 8).

Wie ihr wisst finden diese Sitzungen als partizipative Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Quartier auf Beschluss der Bezirksversammlung HH-Mitte (Mehrheit Rot/Grün) nur noch 3 x pro Jahr statt. Dieses hat negativ zur Folge, dass aufgrund der aktuellen Ereignissen – wie z.B.: die akute Drogen- und Obdachlosenproblematik vor Ort – während den langen Zeitabständen zwischen den Beiratssitzungen wenig Zeit übrig bleibt, diskursiv miteinander auf die tiefgreifenden sozialen wie städtebaulichen Veränderungen innerhalb des Münzviertel wie auch unmittelbar angrenzend einzuwirken wie z.B.: die übergroße Zahl an monokulturellen Hotelneubauten sowie studentische SMARTments rund um den Schultzweg, die sich im krassen Widerspruch zu dem lebendigen und dem Gemeinwohl orientierten Gemeinwesen Münzviertel stellen.

Tops für Mittwoch:

Keine Hotels mehr!
Münzplatz-Umgestaltung
(einschließlich: Unterschriftensammlung Anwohnerparken)
Mietenanstieg / Gentrifizierung
Straßenfest 2019 wer und wann?
TanteMünze / Radküche: 
AzubiWerk – Raumplanung im alten Schulgebäude Münzstr. 6

Entwurf 2013:  Münzplatz Umgestaltung 

Bis Mittwochabend im Werkhaus. Wir freuen uns auf euch. Und wenn ihr selbst aus terminlich Gründen nicht könnt, dann bitte unterrichtet eure Nachbar*innen oder weitere Interessiert*innen über unser Treffen.

Mit nachbarschaftlich Grüßen
Stadtteilinitiative Münzviertel

s. weiter: „Partizipatorische Stadtteilentwicklung? Ein Versprechen oder konkrete Praxis?“https://www.muenzviertel.de/blog/?p=3783

9. November 2018

Paul Kroll   Rosenalle 5Bella Spanier Recha Lübke   Rosenalle 11Elias Edwin Weiss    Münzplatz 11Bertha Uhink   Münzstraße 11Wassiliy Szewezuk Norderstraße 71 Münzgarten Rosenallee 11 November 2018

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hamburg-Hammerbrook

s. weiter: „Geschichte wiederholt sich nicht – sagt Marx“  https://www.muenzviertel.de/geschichte-wiederholt-sich-nicht-sagt-marx-aus-eroeffnungsrede-maximilian-david-mueller-das-muenzviertel-archiv-viertelzimmer-raum-fuer-stadtteilkultur-rosenallee-11-20097-hamburg-25/

„Geschichte wiederholt sich nicht – sagt Marx“ aus: Eröffnungsrede Maximilian David Müller: „Das Münzviertel Archiv“ Viertelzimmer / Raum für Stadtteilkultur / Rosenallee 11 20097 Hamburg 25. Okt. 2018

„Moin liebe Nachbarinnen,
liebe Nachbarn,
liebe Gäste,

ich habe heute die Ehre zur Eröffnung des Münzviertelarchivs einige Worte an Sie, an euch liebe Gäste, zu richten. Ein Archiv also. Ein Archiv… Was ist eigentlich ein Archiv? Ist klar, alle haben jetzt eine bestimmte Vorstellung im Kopf. Wie bringen wir in dieser Vorstellung aber auch noch das Münzviertel und Günter Westphal unter? Vielleicht bringt uns folgende Frage weiter: was passiert in einem Archiv? Ein Annäherungsversuch.

Die allgemein mehr oder minder gültige Definition dessen besagt: „bewerten, erschließen, sichern“ von Dokumenten, Akten, Fotos, Briefen etc.

Ist das schon eine umfassende Beschreibung dessen, was wir hier sehen? Erkennen wir in dieser Definition Günters Werk?

Nein, natürlich nicht. Günter ist ja kein Archivar. Nein Günter ist Künstler. Dem „bewerten, erschließen, sichern“ ist einiges hinzuzufügen. Unzulänglich wäre es einfach einige Verben zu ergänzen. Nein mindestens ein ganzes Gedankengebilde ist meines Erachtens hinzuzufügen. Für mich sind hier die Stichworte Ethik, Prozess und Intervention elementar. Sie sind nicht unabhängig voneinander denkbar. Bei Günter gehören (spielen) sie zusammen.

Wie meine ich das?

Geschichte wiederholt sich nicht – sagt Marx. Klar – identisches sicher nicht. Aber bestimmte Erfahrungen sicherlich schon – ein Blick in dieses Archiv offenbart dies. Es ist eben wichtig sich Fragen zu stellen. Fragen in Bezug auf diesen Ort – das Münzviertel. Fragen aus der Perspektive unseres Stadtteils.

Günter macht genau das. Und er macht das unablässig. Doch wie schafft er es die richtigen Fragen zu stellen? Die Antwort darauf erscheint mir zentral, um dieses Archiv verstehen zu können.

Hier ist nichts „alt“. Nichts ist abgeschlossen. Es gibt keinen Schlusspunkt. So wie ich Günter kennenlernen durfte, versteht er die Welt nicht als Aneinanderfolge von Ereignissen, wie uns die Geschichte gerne weis machen will. Erst kam dieses und jenes Reich, dann kam dieser und jene Herrscher, dann kam diese und jene Revolution.

Nein – Die Welt ist prozessual aufzufassen. Und es gibt keine abgeschlossenen Sphären. Rückgriffe in die Vergangenheit, Verknüpfungen in der Gegenwart, Ausblicke auf die Zukunft – nicht als abgeschlossene, für sich stehende Geschichten, sondern in einem gesamtheitlichen Verständnis: Alles hängt zusammen. Die richtigen Fragen stellt er, weil er diese Verbindungen wie selbstverständlich knüpft, die andere nicht sehen können. Die einzigen Klammern (die ich bisher erkennen konnte) sind der Ort und „seine“ Lesart.

Seine Lesart?

Im engeren Sinne ist das falsch. Es würde seiner Weltsicht vollkommen widersprechen. Seine Lesart ist die kollektive Ethik dieses Viertels, die sich wiederum in ständiger Aushandlung über ihren Inhalt befindet. Es ist also unsere Lesart. Aber was ist das? Was kann das sein? Vielleicht einige Beispiele – die selbstverständlich mit einer Frage beginnen:

Was haben Frau Bella Spanier und Frau Recha Lübke mit Werkhäuslern zu tun? Was haben Frau Spanier und Frau Lübke mit Obdachlosen zu tun?

Beide unterrichteten hier vor Ort in der ehemaligen Volksschule für Mädchen. Beide wurden 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten* wegen ihres jüdischen Glaubens aus dem Schuldienst entlassen. Frau Spanier sofort 1933 nach der Machtergreifung und Frau Lübke 1934: Denunziation, Gelber Stern, Deportation. Dieser Mechanismus ist bekannt und wird nie wieder passieren! Dieses Kapitel der Geschichte ist ja nun abgeschlossen! Wer so denkt kann mit diesem Archiv nicht arbeiten. Zur Erinnerung nichts ist „alt“ oder abgeschlossen oder zu Ende.

Die Meldeportale der AFD existieren ja bereits. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit bis auf eine Kennzeichnung die Verschleppung folgt!

Jetzt könnte angebracht werden: Was haben denn die AFD-Fuzzis mit dem Münzviertel im Allgemeinen und mit dem Archiv im Speziellen zu tun? Nach Günters Lesart – nach unserer Lesart – sehr viel: Für uns gibt es eine direkte Linie von genannten Meldeportalen zu den Opfern im Mittelmeer. Und wieder zurück hier in unser Viertel:

Die Menschen verachtende Rassentheorie wurde 1933 von den Nationalsozialisten als Rassenlehre zum allgemeinen Unterrichtsfach erklärt. Und die ehemaligen Lehrerkollegien bzw. Kollegen von Frau Spanier und Frau Lübke, die diese Lehre unterrichteten, wussten warum ihre ehemaligen jüdischen Kolleginnen aus dem Schuldienst entlassen worden waren. Echt zynisch, wenn man bedenkt, dass die Zukunft ihrer Kolleginnen der sichere Tod im KZ war.

Im selben Viertel, in denselben Räumen sind heute wieder Menschen anzutreffen, die zunehmend entmenschlicht werden. Manch einem unserer Werkhäusler** wird die Menschlichkeit abgesprochen, wenn beispielsweise ein Herr Salvini Überlebenden im Mittelmeer abfällig als Menschenfleisch bezeichnet und Rettungsbooten die Rettung verweigert. Unsere Nachbarn waren in diesen Booten!

Wenn sich unser Innenminister positiv zu einem Mann wie Herrn Orban verhält, dann hat das etwas zu tun mit diesem Viertel. Ein Gesetz, wie es Orban kürzlich erlassen hat, nach dem Obdachlosen der Schlafplatz im freien verwehrt wird, hat mit diesem Viertel eindeutig zu tun. Unsere Nachbarn sind oft obdachlos. Auch hier werden unsere Nachbarn wieder marginalisiert und entrechtet. Obdachlosen wird damit ihre Obdachlosigkeit abgesprochen! Krass! Ok ist ja aber weit weg – Ungarn – Italien? Nun ein Blick in das Archiv lässt durchaus eine andere Sichtweise zu. Auch hier im Münzviertel wird den Menschen ihre Obdachlosigkeit abgesprochen. Auch hier wird der Druck auf die Schwachen der Gesellschaft ständig erhöht: Nur ein Beispiel: Vorletztes Jahr war das Winternotprogramm hier im Münzviertel nur für Deutsche geöffnet. Und heute in Lokstedt wiederum. 

Es ist wichtig zu wissen, dass es hier in der Spaldingstraße eine der größten Außenstellen des KZ Neuengamme gab. Es ist auch wichtig zu merken, dass es nicht vorbei ist: Nur so kann man verstehen wie rechte Kulturen durchgesetzt werden. Und auch hier gibt es eine direkte Linie von der Vergangenheit über das Münzviertel in die Realität. Das Zusammenferchen schuldloser Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft – oder besser Nicht-Herkunft. Vielleicht müssen die Menschen in Ankerzentren nicht, wie hier in Hammerbrook die KZ-Häftlinge, die Leichenteile der Zerbombten herausholen. Vielleicht müssen sie auch nicht hungern. Vielleicht werden sie auch nicht sterben, bei der ungesicherten Arbeit im Schutthaufen deutscher Angriffskriege. Oder sollte ich besser sagen: noch nicht?

Das Archiv hilft uns diese Themen handhabbar machen – einzuordnen. Aufzuzeigen, dass sich nicht nur die Geschichte nicht wiederholen muss, wenn wir die Zeichen der Zeit entziffern, sondern auch die Erfahrungen andere sein können, wenn wir die Verknüpfungen zulassen und im hier und jetzt verorte. Das kann es aber nur, weil unsere Lesart eine Ethik hervorgebracht hat, die auf 16 Jahre gemeinwohlorientierte Stadtteilarbeit im Münzviertel zurückgreifen kann.

Und hier findet man sie als Gesamtheit des Archivs: Die Identität des Münzviertels. Identität durch unsere – gemeinsamen – Erfahrungen. Erfahrungen von heute, von gestern, von morgen. Das Münzviertelarchiv dokumentiert unser kollektives Gedächtnis – aber nur für den Moment. Es ist temporäre Fixierung. Hier findet sich unsere kollektive, kulturelle Identität. Denn jedes Bild, jede Email, jeder Brief, jedes Dokument zeugt davon wie wir uns die Gesellschaft vorstellen. Es zeugt davon wo wir uns einmischen. Es zeugt davon wo wir Dinge nicht hinnehmen. Es zeigt aber auch was wir wollen. Es zeugt von unserem Wissen von der Kraft der Solidarität. Das Archiv sagt: nichts ist alternativlos. Wir wissen: Unsere Gesellschaft baut auf Menschlichkeit – und wir wissen aus eigener Erfahrung – sie können es hier förmlich fassen – Das geht ziemlich gut!

Dieser Geist durchzieht das Archiv. Er durchzieht es, weil es unsere Praxis seit weit mehr als 16 Jahren hier ist. Und das ist natürlich nicht zuletzt Günters Verdienst. Denn Ich erwähnte es eingangs: Er ist ja kein Archivar, sondern Künstler!

Bei ihm liegt der Grundgedanke von Freiheit nicht begrenzt in der Freiheit des anderen, sondern begründet in dessen! Hierin ist der Kunstbegriff begründet. Die Kunst schützt das Subjekt. Sie schützt die Freiheit des Subjekts. Wer die Kunst abschafft, schafft das Subjekt ab. Sicher – es ist noch da – körperlich. Aber entmündigt, blind, ignorant, hoheitsgläubig. Deshalb kann Kunst nicht objektiv sein! Deshalb darf Kunst nicht objektiv sein! Deshalb  geht es bei diesem Archiv eben nicht nur um „bewerten, erschließen, sichern“. Günter mischt sich ein, er produziert Geschichte. Er produziert dessen Dokumentation. Geschichte wird gemacht! Und so verhält es sich auch mit dem Archiv. Das Archiv ist nicht einfach da. Es wird auch nicht einfach gepflegt. Hier geht es nicht einfach nur um das „bewerten, erschließen und sichern.“ Das Archiv wird gemacht!“

Maximilian David Müller  Kunstlabor naher Gegenden (KuNaGe) e.V.

* „1933: Das Jahr der Machtergreifung – Ein Überblick“https://www.historeo.de/hintergrund/1933-das-jahr-der-machtergreifung

** Werkhaus Münzviertelhttp://www.werkhaus-muenzviertel.de

s. weiter: Einladung: „Das Münzviertel Archiv“ Galerie Renate Kammer 7.12.2017  https://www.muenzviertel.de/?p=5069

s. ebenfalls: Bilderbogen: Eröffnung „Das Münzviertel Archiv“
7.12.17 Galerie Renate Kammer
https://www.muenzviertel.de/bilderbogen-eroeffnung-das-muenzviertel-archiv-7-12-17-galerie-renate-kammer/