Die poetische Stadt

Im Gegensatz zur Prosa huldigt die Poesie dem Dazwischen. Die Prosa setzt auf die schwarzen Buchstaben und die Poesie auf die weißen Felder dazwischen. Die Poesie beschwört das Prozesshafte und die Prosa pocht auf Anfang und Ende. Eine poetische Stadt ist ständig in Bewegung. Was heute gilt, kann morgen bereits überholt sein. Es ist ein ständiges Wachsein im Hier und Jetzt ohne das Verdrängen von Historie und Zukunft. Es gibt schlechte und gute Prosa und das gleiche gilt für die Poesie. Die elenden Hochhausruinen an der Spaldingstraße sind schlechte Prosa und die ewig leeren Gewerbeflächen im Repsoldhaus sind schlechte Poesie. Gute Poesie entfaltet ihre Kraft von innen nach außen. Sie aktiviert das noch Ungesagte und verweigert sich dem Diktat von oben.

Kunst und Soziales sind die inneren Kraftfelder des Münzviertels. Beide Felder sind ständig in Bewegung und fordern von sich und den anderen stets das Äußerste. Das Feld der Kunst speist sich aus der großen Anzahl studentischer Quartierbewohner unterschiedlichster Disziplinen und das Feld des Sozialen speist sich aus der übermächtigen Zahl von großstädtischer Zentralisierung sozialer Randständigkeiten innerhalb des Quartiers. Auf engstem Raum zusammengerückt bedingen beide Felder einander.

Aus dieser Zweckgemeinschaft gibt es kein Entrinnen. Die Kunst benötigt das Soziale im Kampf gegen die Yuppiesierung des Viertels und das Soziale benötigt die Toleranz der Kunst als Schutzmacht gegenüber Vertreibung und Ausgrenzung. Eine Standortpolitik, die diesen Kräfteausgleich weder wahrnimmt noch behütet, bestraft das Leben. Die Hauseigentümer mit Leerstand und Mietverfall und die Politik mit Aggressionen und Entpolitisierung.

Wir dagegen setzen auf eine poetische Stadtentwicklung und haben vor, neue Situationen zu schaffen. Dabei kalkulieren wir den Bruch alter Gewohnheiten mit ein, welche die Entwicklung emanzipatorischer Aktivitäten im Leben und Kultur verhindern Denn wir sind der Meinung, dass die tradierte Stadtplanungskultur, undemokratisch längst verkommen zu einer rein ökonomischen Größe, keine Rolle mehr spielen darf bei der Erschaffung einer neuen Umgebung, in der wir leben möchten. Deshalb fordern wir nachhaltig gegründet in der Schnittmenge von Kunst und Sozialem: Rosen in die Münzstraße, Sonnenblumen in die Westerstraße und eine Lehrgärtnerei in die Jugendwerkstatt Rosenallee 11.

Die Rosenpiraten

Aus: Beilage „Münzviertel“ der Stadtteilzeitung „Der lachender Drache“ (HH-St. Georg), 11/2005