„Moin, Hallo. Ich bin Maximilian Müller.
Ich spreche hier für die Stadtteilinitiative. Ich bin in der Stadtteilinitiative – wie eigentlich jede*r aus unserem Stadtteil. Und ich möchte kurz erzählen, was das Leben hier in diesem Viertel mit dem Werkhaus zu tun hat. (im Hintergrund Sirenengeräusche). Genau, da hört man´s. (Lachgeräusche aus dem Publikum). Das passt wie die Faust auf´s Auge. Darauf will ich nämlich gleich noch eingehen.
Werkhaus Münzviertel Parkplatz 30.7.21 Fotoaufnahmen: Eva Zulauf
Nun, die Stadtteilinitiative gibt es seit über 20 Jahren. Frei nach dem Motto: vom Viertel – für´s Viertel. Der Kern der Stadtteilinitiative ist, jetzt gebt acht! Ihr werdet überrascht sein: das Münzviertel natürlich. Und wenn man mehr zur Stadtteilinitiative erfahren will, dann kann man sich einfach an Günter wenden, er ist quasi das lebende Archiv dieses Stadtteils. Man kann tatsächlich Nächte, Wochen verbringen und sich mit ihm über das Viertel unterhalten.
Münzstraße 8.6.18
Das Leben im Münzviertel, ja das ist – das kann man schon sagen – es ist rough. Er ist stark belastet, dieser Stadtteil. Ich wollte grad was darüber erzählen von überbordendem Verkehr mit Auto, S-Bahn. Aber Sie kriegen das ja alles mit – dass es hier 24 Stunden brummt und quietscht und hupt und sirent. Dazu kommt eine ganze Horde von Touristen, die hier rumlaufen. Ein Hotel, noch ein Hotel. Dann hier Gästehaus, noch ein Hotel, Ballermann, Rollkoffer klickklack. Das findet man hier vor, und das Ganze ziemlich intensiv. Nun, das sind so die Probleme dieser Großstadtwelt im Allgemeinen. Und diese zeigen sich hier im Hinterhof, nahe des Hauptbahnhofs noch intensiver.
Bahnunterführung Norderstraße / Repsoldstraße / Münzplatz 13.8.18
Aber es gibt auch Ungerechtigkeiten der Welt, zumindest Europas, die man hier lokal wiederfindet. Das hört sich jetzt vielleicht im ersten Moment etwas hochgegriffen an. Ich denke aber, das es nicht so ist. Im Münzviertel – und da komm ich wieder auf das Thema Werkhaus im weitesten Sinne zu sprechen – ist eines der dringendsten Themen seitdem es die Stadtteilinitiative gibt und wahrscheinlich schon viel länger davor: Obdachlosigkeit. Obdachlosigkeit ist hier ein allbegleitendes Thema. Und was sich seit Jahren hier abspielt – es erscheint fast schon grotesk. Schon vor der Pandemie – eine boomende Wirtschaft – und hier im Münzviertel gibt es zugleich keine Brücke, unter der kein Schlafplatz zu finden ist. Auch die Qualität hat sich da deutlich verändert. Wir reden hier von Leuten, die auf Baustellen durchaus arbeiten dürfen, aber nirgends eine Möglichkeit finden, zu schlafen.
Nordkanalstraße 27.6.18
Sie werden hier in der Früh morgens abgeholt, um auf die Baustelle zu fahren und abends dürfen sie dann wieder hier, unter der Brücke übernachten. Dann gibt es hier alte Menschen auf der Straße, Menschen mit Einschränkungen –alles Leute, die ich mir überall vorstellen kann, aber nicht unter einer Brücke. Und ähm, naja, ich kann mir eigentlich niemanden unter einer Brücke vorstellen. Es gibt inzwischen Familien, die unter der Brücke schlafen müssen. Das ist erschreckend, es ist wirklich erschreckend. Und das hat meines Erachtens zumindest subjektiv – es gibt ja auch objektive Zahlen, dass es zugenommen hat – aber subjektiv hier im Viertel sind diese Zustände erschreckend „normal“ geworden. Und zwar nicht nur „normal“ auf politischer Ebene, nicht nur „normal“ auf sozialer Ebene – eben auch als Bewohner*in merkt man, dass es erschreckend „normal“ wird, dass Menschen unter Brücken schlafen. Ständig, dauernd und überall. Und ja, deshalb glaube ich, dass es nicht zu hoch gegriffen ist, wenn man sagt: Hier schlagen sich die Probleme der Welt, zumindest Europa´s, ganz konkret, in unserem kleinen Viertel und Stadtteil nieder.
Da kann man sich natürlich die Frage stellen wie die Bewohner*innen, die hier in den Häusern leben, wie sie damit umgehen. Es gibt mit Sicherheit Stadtteile wo gleich hetzende Wutbürger*innen in der Gegend rumrennen und irgendeinen rassistischen Scheiß erzählen. Die probieren dann meist irgendwie, genau diese Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, zu diskreditieren. Die Umstände des Stadtteils werden dann oft genau auf diese Menschen projiziert, die im Grunde genommen nichts dazu können, in dieser Lage zu sein, obdachlos zu sein. Das ist bei uns, u.a. durch die Stadtteilinitiative, glücklicherweise nicht der Fall. Wir haben schon sehr, sehr früh einen anderen Weg gewählt, das hat vorhin Rahel schon angedeutet und gesagt: Empathie, Offenheit, Solidarität. Das sind bei uns nicht nur irgendwelche Schlagworte, sondern das machen wir, seit Ewigkeiten. Und das ist im Grunde genommen das Fundament unserer Stadtteilinitiative.
18. Straßenfest Münzviertel 22.6.19** Foto Eva Zulauf
Ich glaube auch behaupten zu können, dass dies inzwischen auch eine Haltung des gesamten Stadtteils ist. Sehr viele Menschen identifizieren sich mit diesen Werten. Und das ist etwas, ja – das ist etwas Schönes an diesem Stadtteil. Und genau deswegen ist das der Grund, warum ich Ihnen das erzähle: man könnte ja sagen, ja gut was hat das denn dann mit dem Werkhaus zu tun. Weil ja, ist halt ein Stadtteil, der hat Probleme, diese Großstadtprobleme – und es gibt ein kleines gallisches Dorf was sich dagegen auflehnt. Aber genau das, dieses Miteinander, diese Haltung – und, nicht nur die Haltung, sondern auch die Übersetzung in ein Tun – nicht nur darüber reden, sondern Sachen auch zu machen – genau das ist meines Erachtens ein Kern des Werkhaus. Eine Essenz der Stadtteilinitiative, des Stadtteils und der Umgang mit diesen Themen. Nun, für uns sind obdachlose Menschen Nachbar*innen. In erster, in allererster Linie. Und wir kümmern uns um Nachbar*innen und insbesondere um die jungen, obdachlosen Nachbar*innen.
Werkhaus Münzviertel ***/ Holzwerkstatt 12.11.18
Die Stadtteilinitiative hat mit anderen das Konzept des Werkhauses aufgestellt und sehr, sehr lange, das hat Rahel auch erwähnt, darum gekämpft, dass es überhaupt stattfinden und eingerichtet werden kann. Und die Stadtteilinitiative ist nach wie vor dabei, das Werkhaus zu begleiten. Wir hatten es damals, ganz offensichtlich für sehr notwendig gehalten dieses Werkhaus zu gründen und umzusetzen. Und meine Eingangsworte nochmals in Erinnerung gerufen: ich sehe absolut keinen Grund, warum sich das heute in irgendeiner Weise geändert haben soll. Ganz im Gegenteil. Also ganz im Gegenteil. Und jetzt komm ich auch auf die Frage, kann das weg? Ja, natürlich. Das Werkhaus kann im Grundsatz sofort weg. Obdachlosigkeit kann im Grundsatz sofort weg. Selbstverständlich, wir arbeiten jeden Tag daran, uns überflüssig zu machen. Das ist völlig in Ordnung.
Aber solange es Obdachlosigkeit gibt. Solange Menschen darauf angewiesen sind, dass es sowas wie das Werkhaus überhaupt gibt, kann das natürlich in keinster Weise weg. Null. Und die allgemeinen Zahlen, die Eindrücke was mit Obdachlosigkeit hier los ist – wir brauchen das Werkhaus. Es ist notwendiger als je zuvor. Wir als Stadtteilinitiative sehen uns als ein Ganzes – mit dem Stadtteil und mit dem Werkhaus. Wir sind der festen Überzeugung davon, dass das Werkhaus weiter bestehen muss. Und ich muss es ehrlich sagen – alle 2 Jahre reden wir darüber, dass das Werkhaus in keine Fördertöpfe passt. Jo, dann muss halt mal die Förderlandschaften angepasst werden! Also, ganz ehrlich – das kann doch nicht sein. Das heißt Modellprojekt und ist erfolgreich. Dann muss es zu einem Regelprojekt werden – und deswegen sagen wir, als Stadtteilinitiative: ein Werkhaus für jedes Viertel!„
Maximilian David Müller / Stadtteilinitiative Münzviertel 30.7.21
Transkription: Eva Zulauf
** https://www.muenzviertel.de/sommer-sonne-ahoi-antifa-18-muenzviertel-strassenfest-22-juni-2019/